Grenzerfahrung Gott

Interview mit der Theologin und Psychotherapeutin Dr. Monika Renz

Sendung „Mensch Bach“ auf http://www.radiowesterwald.de

Heute mit Dr. Monika Renz. Sie ist Theologin, Musik- und Psychotherapeutin und Leiterin der Psychoonkologie am Kantonsspital St. Gallen in der Schweiz. Frau Dr. Renz, sind Sterbebegleiterin und haben sehr viele Menschen begleitet in ihrer letzten Lebensphase. Und Ihr neuestes Buch heißt „Grenzerfahrung Gott“. Wer oder was hilft Menschen im Durchschreiten der dunklen Nacht?


Die wichtigste Aussage ist oder Erkenntnis in unseren Erfahrungen ist, dass es überhaupt etwas gibt, das hilft. Das ist also nicht eine Theorie, sondern das habe ich immer wieder mit vielen, vielen Menschen erlebt. Manès Sperber sagt: „Die Brücke über den Abgrund entsteht, indem ich den ersten Schritt gehe.“ Und so wissen wir im Voraus nicht, auf was wir uns da einlassen, kommen wohl an den Punkt, wo wir einfach keine andere Wahl haben, aber doch noch die Freiheit, ja zu sagen. Gelingt dies und haben die Menschen wirklich Unterstützung, wie ich dieselben in diesem Buch auch beschreiben darf, so entsteht eine tief innere Erfahrung mit Gott oder mit dem Göttlichen oder mit etwas dem Menschen Übersteigenden.


Sie sprechen auch von spirituellen Erfahrungen. Was verstehen Sie darunter?


Eine Erfahrung mit dem Göttlichen, mit Gott, mit Transzendenz. Etwas jedenfalls, das ich nicht machen kann. Das ich nicht einfach mit meinem Ich kreieren kann. Da war eine Frau. Ich habe sie da Kathrin Keller genannt. Sie hatte unermessliche Ängste und ein Ehemann, der war hilflos. Aber so hilflos wiederum war er auch nicht. Er hatte die Idee, ihr Tag und Tag Musik auf seinem Cello zu spielen. Nicht, weil er ein guter Schauspieler war, sondern weil er das Bedürfnis hatte, ihr zu sagen: Du, ich liebe dich. Das hat sie so sehr bewegt, dass sie daraufhin zur Ruhe fand und eine Lichtgestalt sah. Also aus der Lebenserfahrung mit einem Menschen wurde eine größere Erfahrung mit einer Lichtgestalt. Sie hat dann diese Lichtgestalt Jesus genannt.

An wen richtet sich Ihr Buch?


Das richtet sich an alle Menschen, die interessiert sind, solche Erfahrungen lebendig zu hören. Das ist das erste. Es richtet sich aber auch an alle Menschen, die im Leiden fast irre werden und eben, genauso wie Sie gefragt haben, nicht mehr wissen, wer oder was hilft hier. Dass etwas hilft, erfahren die Menschen auch im Lesen. Das Buch ist ja eine komplette Neiüberarbeitung eines früheren Projektes, und ich habe so viele Rückmeldungen auf diese diese Beispiele erfahren wie sonst von keinem anderen.


Ganz herzlichen Dank, Frau Renz, für das Interview.

Ich danke Ihnen auch.

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„Ich surfe, also bin ich“?

Interview mit Lars Schäfers, katholischer Theologe und Autor des Buches „Personale Identitätsbildung in der digitalen Mediengesellschaft

Herr Schäfers. Sie sind ein katholischer Theologe, der sich mit Identität und Internet beschäftigt. Ein Philosoph hat einmal gesagt: „Ich denke, also bin ich.“ Heute würden vielleicht viele sagen: „Ich surfe, also bin ich.“ Wie sehen Sie das?


Ja, ich surfe, also bin ich. Das trifft wohl das Lebensgefühl von vielen Menschen heutzutage, insbesondere von jüngeren Menschen. Wenn jemand in den sozialen Medien sich darstellt, Fotos von sich postet, Urlaubsberichte von seinen Interessen und Hobbies und beruflichen Tätigkeiten und dergleichen, dann dient das immer auch der Herstellung oder aber auch Präsentation dessen, was die Identität desjenigen ausmacht.


Eine Kollegin hat einmal gesagt: “Das Fernsehen macht die Dummen dümmer und die Schlauen schlauer.”  Kann man das vielleicht auch fürs Internet so behaupten?


Ja, das ist zwar sehr plakativ formuliert, aber dem liegt ein wahrer Kern zugrunde. Denn nur wer die nötige Medienkompetenz besitzt, wer also weiß, wie er oder sie das Internet nutzen kann, kommt weiter. Daher ist ja auch Medienkompetenz als eine eine der zentralen Tugenden in der Mediengesellschaft in aller Munde. Zudem gibt es eine schier unübersichtliche Menge an Informationsangeboten im Netz, was es ganz schwierig macht, gute und richtige Informationen von weniger guten oder eben auch dummen nutzlosen Informationen – Stichwort Fake-News – zu unterscheiden. Also ist eine kritische und achtsame Internetnutzung unabdingbar.


Ist die Situation vielleicht vergleichbar mit dem Mittelalter, als die meisten nicht lesen und schreiben konnten und die Gebildeten viel gelesen haben? Und das hat wesentlich zur Identitätsbildung beigetragen?


Ja, diesen Vergleich kann man durchaus ziehen. Medienkompetenz wird ja vor allem durch eine geeignete Medienbildung erworben. Medienbildung ist dabei immer auch lebenslanges Lernen und in der heutigen Mediengesellschaft für alle Altersgruppen ganz wichtig.


Jetzt in der Ferienzeit machen viele eine digitale Pause. Ist das sinnvoll ?


In jedem Fall. Durch das Internet haben sich die Möglichkeiten, Medien zu konsumieren, ja so stark vervielfältigt, dass es nicht wenige Menschen gibt, die heute ganz bewusst eben Medien fasten wollen. Ich selbst beschäftige mich ja theologisch und privat zwar auch viel und gerne mit Medien, versuche, mir aber auch immer selber auch Zeiten einer weitestgehenden Medien Abstinenz freizuschaufeln, wann immer es möglich ist. Also der Bedarf an Medienkonsum bei mir dann auch mal irgendwann gedeckt ist.


Dann wünsche ich Ihnen eine gute digital freie Zeit und wieder neue Ideen für Ihr wissenschaftliches Forschen. Ganz herzlichen Dank, Herr Schäfers.


Ja, ich danke Ihnen, Herr Bach.

„Medienkompetenz und zeitweises digitales Fasten sind für die personale Identitätsbildung in der Mediengesellschaft wichtig.“
(Mag. theol. Lars Schäfer)

Kein Trick

Der Philosoph Sören Kierkegaard erzählt eine Geschichte: „ Ein Reisezirkus war in Brand geraten. Der Direktor schickte daraufhin den Clown, der schon zur Vorstellung gerüstet war, in das benachbarte Dorf, um Hilfe zu holen, da die Gefahr bestand, dass über die abgeernteten, ausgetrockneten Felder das Feuer auch auf das Dorf übergreifen würde. Der Clown eilte in das Dorf und bat die Bewohner, sie mögen eiligst zu dem brennenden Zirkus kommen und löschen helfen. Aber die Dörfler hielten das Geschrei des Clowns lediglich für einen ausgezeichneten Werbetrick, um sie möglichst zahlreich in die Vorstellung zu locken; sie applaudierten und lachten Tränen.
Dem Clown war mehr zum Weinen als zum Lachen zumute. Er versuchte vergebens die Menschen zu beschwören und ihnen klar zu machen, dass dies keine Verstellung und kein Trick sei, sondern bitterer Ernst. Sein Flehen steigerte nur das Gelächter, man fand, er spiele seine Rolle ausgezeichnet – bis schließlich in der Tat das Feuer auf das Dorf übergegriffen hatte und jede Hilfe zu spät kam, sodass Dorf und Zirkus gleichermaßen verbrannten.“
Ich kann verstehen, dass viele den Sommer nach so langer Zeit der Corona-Entbehrung genießen. Die Geschichte beschreibt aber das mulmige Gefühl, wenn ich die düsteren Zukunftsprognosen für den Herbst und den Winter lese. Mit dem Virus kann man nicht verhandeln, mit dem Klima auch nicht.
„Gott gebe mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“ (Reinhold Niebuhr).

Spiegel-Lächeln

Am 3. Juli ist „Schmeichel-Dein-Spiegelbild-Tag“. Natürlich eine Erfindung aus den USA. Wenn ich morgens in den Spiegel schaue, zaubert mir das nicht automatisch ein Lächeln ins Gesicht. Doch wenn ich das willentlich steuere, bin ich auch positiv gestimmt. Das ist so ähnlich wie Lach-Yoga. Da treffen sich Leute regelmäßig und lachen – ohne Grund. Die physiologische Wirkung ist gesund. Ich wünsche Ihnen von Herzen, dass Sie diese Woche viele Gründe zum Lachen haben. Und wenn nicht, wagen sie willentlich gesteuert die paradoxe Intervention. Zaubern Sie vor dem Spiegel ein Lächeln in Ihr Gesicht. Schaden wird es auf jeden Fall nicht. Im Gegenteil! Noch nachhaltiger ist das Lächeln natürlich von Herz zu Herz. So weiß schon das biblische Buch der Sprichwörter: „Wie Wasser ein Spiegel ist für das Gesicht, so ist das Herz des Menschen ein Spiegel für den Menschen.“ (Spr 27,19)

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„Hans Dampf in allen Gassen“

Genießen Sie es auch im Moment, wieder Feste zu feiern? Gefühlt um jede Ecke gibt es jetzt wieder private und öffentliche Feste unter freiem Himmel, nach der langen Entbehrung durch Corona. Manche nutzen auch nahezu jede Einladung, viele Gesichter nach langer Zeit wieder zu sehen. Ein „Hans Dampf in allen Gassen“. Wissen Sie, woher das Sprichwort kommt? Vom Johannisfest. Am 24. Juni wird der Geburtstag Johannes des Täufers gefeiert. Im Elsaß steigt der Duft des Johanniskuchens, zu diesem Festtag schon mittags gebacken, in alle Nasen. Er wurde gemeinsam im „Backes“ zentral auf dem Dorfplatz gebacken. „Hans Dampf in allen Gassen“ – das ist nicht negativ gemeint, sondern durchaus sinnlich. Ich werde nie den Duft vergessen, wenn ich als Kind an einer Bäckerei vorbeilief. Was lief mir das Wasser im Mund zusammen! Wir sind an einem Wendepunkt, der Sommersonnenwende. Wir folgen der Weisheit unserer Vorfahren, wenn wir diesen Tag mit Ritualen begehen. Vielleicht backe ich an diesem Tag einen Kuchen und teile ihn mit meinen Nachbarn?

Quelle: Pixabay

Wer kennt den Willen Gottes?

Wieder einmal ist Palmsonntag, die Heilige Woche beginnt. Jesus zieht umjubelt als Friedensfürst in Jerusalem ein. Wie nah ist dieses Jahr diese uralte Sehnsucht nach Frieden! Die Bilder des Krieges gehen an die Nieren. Jesus wählt ein Zeichen der Gewaltlosigkeit. Er kommt auf einem Esel in die Stadt geritten. Nicht gerade eine Machtdemonstration. Wie sehr kann ich in diesen Tagen die Sehnsucht nachvollziehen, die viele in Jesus als starken Machthaber gesetzt haben, der die unterdrückende Gewalt der Besatzer, des mächtigen römischen Weltreiches, vertreibt! Er wählt aber einen anderen Weg, aus Gehorsam zum Vater im Himmel. Wer kennt den Willen Gottes? Die Frage nach dem Leid ist himmelschreiend! Warum, Gott, lässt du zu, dass unschuldige, wehrlose Menschen massakriert und hingerichtet werden?! Die Gräuel von Butscha sind nur ein Ausschnitt der Wirklichkeit. Der Frieden, nach dem sich so viele sehnen, ist kein Frieden, wie ihn die Welt, und sei es auch ein noch so gütiger Herrscher darin, aus eigener Vollmacht geben kann. Der Friede, nach dem sich so viele sehnen, er geht weit darüber hinaus.

Jesus, du stehst an der Seite der Wehrlosen, der Armen, der Menschen, die so unsägliches Leid ertragen müssen. Du machst dich nicht abhängig von Zustimmung oder Ablehnung, besonders nicht der Mächtigen oder derer, die ihre Hände am liebsten öffentlich in Unschuld waschen, an denen in Wirklichkeit Blut klebt. Stärke diejenigen, die den Kreislauf der Gewalt auf ihre eigene Art und Weise unterbrechen wollen und ihr Tun und Unterlassen vor ihrem Gewissen verantworten wollen. Sorge für Gerechtigkeit, Versöhnung und Neuanfang, zusammen mit dem allmächtigen, geliebten Vater im Himmel.

Meine Gedanken zur Missbrauch-Krise in der katholischen Kirche

Für jetzt bleiben? Glaube, Hoffnung, und Liebe. Das stand für Paulus fest. Für mich auch? Viele sehen diese drei – Glaube, Hoffnung und Liebe – in der Kirche nicht mehr. Spätestens seit die erschütternden Erkenntnisse über den Umgang mit Missbrauch in der Erzdiözese München-Freising ans Licht der Öffentlichkeit gelangt sind. Was ist mit den Betroffenen? Den Opfern? Ihnen gegenüber wurden diese Werte doch mit Füßen getreten! Wie kann Kirche da noch das „Hohelied“ der Liebe singen? Mir erscheint das fast zynisch.
„Wir sind an einem toten Punkt.“ So hat es Kardinal Marx ausgedrückt. Mit der Liebe ist es erst einmal aus, für viele. Zumindest mit der Liebe zur Kirche. Viele gehen in diesen Tagen nicht mehr zum Gottesdienst, sondern machen einen Termin beim Standesamt. Nicht um zu heiraten, sondern um aus der Kirche auszutreten.
„Wir sind an einem toten Punkt.“ Für mich klingt das fast zu harmlos. Die Kirche in Westeuropa ist am Absterben. Ein Theologe nennt die derzeitige Krise „Palliative Pastoral“.
Der Kirchenlehrer Klemens von Alexandrien vergleicht Jesus mit dem Sänger Orpheus. Die Geschichte stammt aus der griechischen Sagenwelt. Orpheus trauert um seine Geliebte, Eurydike. Er hat sie verloren. Sie ist gestorben. Eurydike steht für alle Menschen, die im Schatten des Todes ihr Dasein fristen. Es sind die Menschen, die ganz unten sind, in der Unterwelt sozusagen. Vor allem Ihnen wendet sich Jesus zu. Er hat eine solche Sehnsucht, den Menschen nah zu sein, für die kein Licht leuchtet. In der Welt oft nicht, und für viele auch in der Kirche nicht. Er hat eine solche Sehnsucht, denen wieder nah zu sein, die wirklich an einem toten Punkt sind, mitten im Leben.
„Für wen ist Kirche da?“, fragt unser Bischof Georg. Nicht, wer sind wir als Kirche, sondern für wen sind wir eigentlich da? Orpheus steigt hinab in die Unterwelt. Er ist richtig heruntergekommen. Er singt für Eurydike ein Lied des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe.
Klemens von Alexandrien vergleicht die Kirche mit einer Kithara, heute würde man Gitarre dazu sagen. Die Kirche ist ein Instrument, ein Werkzeug, auf dem das Hohelied der Liebe immer neu erklingen soll. Und zwar so ansprechend und glaubwürdig, dass die Menschen der jeweiligen Zeit diese Musik so attraktiv finden, dass sie Christus-Orpheus nachfolgen, hinauf zum Licht, zurück zu Glaubwürdigkeit, Heilung und Leben. Der Orpheus in der griechischen Sage hat allerdings einen Fehler gemacht. Er hat zurückgeschaut, und nicht nach vorne. Seine Mission, Eurydike wieder zurück ins Leben zu begleiten, sie scheitert. Das darf uns nicht passieren. Um Gottes Willen nicht! Auch wenn wir Orpheus nur indirekt sehen können, dürfen wir nicht den Fehler machen, dass manche sich selbst für Orpheus halten. Dass sie auf der Gitarre, der Kirche, ihr eigenes Machtlied spielen wollen. Oder eine so alte und verstimmte Melodie, dass diese niemanden hinter dem Ofen mehr hervorholt. Sie verwechseln ihre Aufgabe damit, dass sie in der Rolle Christi ihn nicht selbst auf den Saiten spielen lassen, sondern am Griffarm die Töne verstellen, dass sie andere Saiten aufziehen, oft zu fest, oder manchmal auch so locker, dass kein gemeinsames Lied des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe erklingen kann. Die Melodie ist dann oft nur noch schräg, oder auch ganz stumm und gar nicht mehr zu hören. Manche nehmen sich auch in der Rolle des Orpheus bzw. Christus so wichtig, dass sie die Saiten so fest anziehen, dass sie reißen, oder auch so locker, dass sie herausspringen.
Die Aufgabe der Kirche ist eigentlich, Christus-Orpheus selbst auf den Gitarrensaiten spielen zu lassen. Er, und niemand anderes, wird mit seiner Musik des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe die Menschen aus der Dunkelheit und der Verzweiflung, hinauf ins Licht der Wahrheit, ins Licht der Aufklärung führen.
Was bleibt – in dieser dunklen Situation? Kann jemand gerade die Melodie Christi hören? Vielleicht braucht es erst einmal eine Zeit der Stille. Nicht der Opfer, sondern derer, die das Instrument Kirche so jämmerlich verstimmt haben. Dann eine Zeit des ehrlichen und ungeschönten Bekenntnisses, der nüchternen Aussprache. Und dann eine Zeit des von außen begleiteten, bescheidenen Neuanfangs. Und dann kann Christus-Orpheus selbst die Gitarrensaiten neu stimmen oder auch austauschen und erneuen. Erst wenn Klarheit, Respekt und Ehrlichkeit die Saiten gut anspannen, kann der Spieler Christus-Orpheus die Gitarre neu zum Spielen bringen, damit die Welt das Hohelied der Liebe hören, hoffen und glauben kann.
Amen.

Quelle: http://www.pixabay.com